When Decisions Become Art – Selbstorganisation organisieren
Am Anfang steht die Entscheidung, keine Ausstellung zu machen, «weil meine Praxis keine Ausstellungspraxis ist». Stattdessen initiiert die heute in London lebende Künstlerin Kathrin Böhm (*1969) in Nürnberg ein dreiwöchiges «Live-Programm» zum Thema Selbstorganisation.
Nürnberg — Den kunstbunker kennt sie gut. Vor 25 Jahren hat sie, damals noch Studentin, den auf einem Bauhof hinter der Kunsthalle gelegenen Raum mitgegründet und -gestrichen. Die Loyalität zu dem nach wie vor als klassischen artists run space betriebenen ‹forum für zeitgenössische kunst e. V.› ist ihr, die heute u. a. als Teil der Künstlerinnengruppe Myvillages international tätig ist, geblieben. Und holt Selbstorganisation als politisches und emanzipatorisches Prinzip sozusagen an den Ausgangsort zurück.
Vorausgegangen ist eine Reihe von Workshops, die nun eine Fortsetzung finden. Nicht nur wird die Geschichte des kunstbunkers thematisiert, also «wer hat ausgestellt und wer hat das organisiert», es gibt auch einen Gast- bzw. Sozialraum, wo gemeinsam gekocht und gegessen wird. Und last but not least einen Arbeits- oder Seminarraum, wo diskutiert, Projekte angeschaut und gefragt wird, «mit welchen politischen Ambitionen organisieren die sich?». Denn verschiedene Kunstformen stärken jeweils unterschiedliche Systeme. Jede Entscheidung zählt: Wenn ich auf dem Kunstmarkt erfolgreich sein will, treffe ich andere Entscheidungen und unterstütze ein anderes System, als wenn ich bspw. soziale Prozesse initiiere. (Um es mit Adorno zu sagen: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.) Der Markt gewährt ohnehin nur einem Bruchteil der Künstler Zugang, geschweige denn ein Auskommen. Künstler können, wenn man sich ganze Karrieren anschaut – abgesehen vielleicht von wenigen erfolgreichen Jahren –, sowieso nur mit einer Spannbreite an Ökonomien überleben, «vielleicht ein bisschen verkaufen, vielleicht ein bisschen unterrichten, vielleicht ein billiges Atelier, vielleicht kollektive Wirtschaftsformen». Auch darüber wird in diesen drei Wochen zu sprechen sein. Damit einige wenige reüssieren, braucht es das Marktversagen der vielen. Kathrin Böhm verweist in diesem Zusammenhang auf das Buch ‹Dark Matter› (2011) von Gregory Sholette, in dem er fragt, wer sind all die anderen Künstler? Haben die es einfach nur nicht geschafft, oder wollen die da gar nicht sein, wie verhält sich das? Das Eisberg-Diagramm – das gut mit den unter der Erde gelegenen Räumlichkeiten des alten Schutzbunkers korrespondiert – verdeutlicht: Die kritische Masse sieht man nicht sofort, aber sie ist darum nicht weniger wirksam oder erfolgreich.
Es gibt ja nicht nur eine Kunstwelt, sondern verschiedene, in denen man sich bewusst oder unbewusst aufhalten kann – eine Orientierung zur Selbstpositionierung, die an den Kunstakademien oft unterbleibt. «Als Künstler treffe ich ständig Entscheidungen, ich kann also auch entscheiden, ob die Workshops, die ich in meiner Community mache, Teil meiner Kunst sind oder nicht, es sind alles Entscheidungen, die immer einen Kunstbegriff oder ein Kunstsystem bestätigen oder kritisieren.»
Um «nette Gemeinschaftlichkeit» geht es hier also nicht, sondern: «wie organisiere ich Gruppen, wie organisiere ich Ökonomie, wir wollen es anders, wir machen es anders, macht ihr es auch anders». Und um das Politisieren von Praxis, zu der es gehört, politische Forderungen zu stellen und expliziter zu werden. Heute mehr denn je.