KINDL — Ruinen der Gegenwart
«Schöpferische Zerstörung» ist ein Konzept des – positiv gewendeten – Kapitalismus, denn ohne Zerstörung keine Neuordnung. Umgekehrt heisst es, jede Zeit schafft sich ihre eigene Vergangenheit. Wie verorten sich Festhalten-Wollen und Vergessen in der Gegenwart angesichts beschleunigter Transformation?
Berlin — Physische Spuren des Kriegs finden sich nur noch wenig in der Stadt. Sie zu konservieren ist ein Anliegen der Künstlerin Asta Gröting, die auf den zerschundenen ‹Berlin Fassaden› (bis 3.12.) Silikon aufgebracht und so ein Negativ der Einschusslöcher abgenommen hat. Quasi in Fortführung ihres im Erdgeschoss der Maschinenhalle gezeigten Werks werden in den beiden Stockwerken darüber nun ‹Ruinen der Gegenwart› als Indikatoren für gesellschaftliche Veränderungsprozesse befragt.
Erst seit der Wende wird an die dem Braunkohletagebau in der Lausitz zum Opfer gefallenen Orte erinnert. Marike Schuurman (*1964, Groningen) hat die zum Gedenken aufgestellten Findlinge fotografiert, damit die Geschichte nicht wie die Orte in der neu entstehenden Seenlandschaft verschwindet. Francis Alÿs lässt Jugendliche durch die Ruinen der untergegangenen armenischen Hauptstadt Ani irren und haucht ihr mit Vogelstimmenflöten neues Leben ein. Flankiert von alten Gebäuden um die ehemaligen Markthallen, den «Bauch von Paris», erhebt sich das maschinenhafte Skelett der «Raffinerie» Centre Pompidou. Die Transformation des Viertels zu einem Ort der Kunst begleitet Gordon Matta-Clark mit seiner temporären Intervention ‹Conical Intersect›, wobei er die Abbruchhäuser mit grosser Geste als Material nimmt.
Zerfallsprozesse anderer Art beschäftigen den japanischen Architekten Arata Isozaki: Er befragt seine Entwürfe mit der ganzen Eitelkeit der Postmoderne auf ihren «Ruinenwert». Was bleibt, wenn nichts bleibt, wie die vom IS zerstörten Artefakte im Museum von Mossul, demonstriert dagegen die iranische Künstlerin Morehshin Allahyari (*1985, Teheran), die Objekte mittels 3D-Druck rekonstruiert. Die erfassten Daten lassen sich über den angehängten USB-Anschluss aufs Handy laden und das Objekt so von jedem Nutzer reproduzieren – eine nachahmenswerte Idee für ein modernes Multiple. Die insgesamt zehn künstlerischen Positionen der von Julia Höner und Ludwig Seyfarth in Kooperation mit dem KAI 10 kuratierten Ausstellung zeigen einen differenzierten Blick auf Vergänglichkeit, welcher inhaltlich an die Arbeit von David Claerbout anschliesst (→ KB 10/2017) und der Umwandlung der Kindl-Brauerei zum Kulturort gut zu Gesicht steht. Der Herausforderung des von Gentrifizierung bedrohten Stadtteils, dessen Agent das KINDL ist, will man, wie Kurator Andreas Fiedler betont, durch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen der migrantisch geprägten Nachbarschaft verantwortungsvoll begegnen.