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Christoph Doswald Welches ist für dich die wichtigste Ausstellung,
die du kuratiert hast?

Harm Lux Das ist sehr schwer zu beantworten, denkt man nicht
in sich konkurrierenden Prinzipien. Betrachtet man Projekte eher als
Weiterentwicklungen, dann kann ich höchstens eine meiner meist metaphysisch
geprägten Ausstellungen und eines meiner eher postmodernen Projekte nennen:
Auf der metaphysischen Seite war es die erste grosse Übersichtsausstellung
von Francesca Woodman - ihr Werk hat mich vollkommen reingezogen. Auf
der postmodernen Seite war es das Projekt mit dem Titel « A Nite at the
Show » - mein erstes relational-setting-artiges Projekt, wo ich nebst der
Ausstellung viele Performances initiierte. Diverse Sparten sollten
zusammenarbeiten, um aus dieser Improvisation heraus ein Performance-Angebot
zu erarbeiten. Ich brachte Musiker, die Mundharfe spielten, Technobeat-
Komponisten, Schauspieler die gerade am Schauspielhaus auftraten, und
mehrere junge Modedesigner zusammen, um aus dieser Improvisation heraus
eine Mode-Musik-Kunst-« Nite » zu entwickeln: Werke, die sich nicht so
schnell kategorisieren lassen.

CD Was verstehst du unter einer « metaphysischen Ausstellung »?

HL In einer metaphysischen Ausstellung - die Kategorisierung hört
sich ja fast komisch an -, stellt sich der Erkenntnisgewinn nicht direkt
durch das logische Weiterdenken des Werks ein, eher durch das Eintauchen
und Identifizieren und vor allem durch die Bereitschaft, mit-zu-erfahren
und sich auf das Absurde einzulassen. Beim Betrachten des Werks von
Francesa Woodman sieht und spürt man, wie sie das, was sie als künstlerische
Handlung darstellt, auch leben möchte. Was im Bild gezeigt wird (auf einem
Foto sieht man zum Beispiel, wie ein Körper in die Wand unter der Tapete
eintaucht), wird nie erfahrbar sein, nicht für den Produzenten und nicht
für den Betrachter. Durch die Qualität des Werks versteht man aber, dass
das Bild und die dahinterliegende künstlerische Handlung eine Art von
letzter Befragung vermitteln, eine, die auf den Kern des Lebens, auf seine
Anfänge zurückführt.

CD Interessiert dich bei einem Künstler seine Glaubwürdigkeit, die
Übereinstimmung von persönlicher Haltung und Werk?

HL Dass Haltung und Werk übereinstimmen, ist mir wichtig. Dabei
frage ich mich: Wie gehen aktuelle Entwicklungen in unserer Welt jetzt und
in Zukunft zusammen? Dass wir dabei stets eine andere Bilddefinition über
Haltung und Werk schaffen müssen, ist Voraussetzung. Wie entwickelt sich
die Haltung einer durch postmoderne Theorien und Globalkultur beeinflussten
jungen Künstlerin? Wie bringt sie für sich das Ganze auf einen Punkt, wenn
ihr gelehrt wurde, dass Gleichgewicht und Relevanz sich nur durch viele
kleine Pünktchen darstellen lassen? Bringt sie es auf « die Pünktchen »?
Und an welchen Strömen und Strömungen haben die Pünktchen Teil? Wozu
tragen sie bei? Machen sie uns aufmerksam auf die in Flüssen verborgenen,
chemischen und verrotteten Abfälle unserer Kultur? Wie setzen sie es um?
Was und welche Gedanken fliessen im Fluss und was ist ihre Haltung dabei?
Junge Künstler wachsen nun auf mit der alles hinterfragenden Gedankenwelt
der Postmoderne, eine, die vor allem das Ideologische hinterfragt, um das
demokratische Gewebe pluralistisch zu stärken. Anderseits leben wir in einer
hoch technologisierten, mediatisierten und sich stets mehr ökonomisierenden
Kultur, deren Kennzeichen Geschwindigkeit und Kommunikation an sich sind.
Welche Positionen werden die jüngeren Generationen, die in der Globalkultur
aufwachsen, einnehmen?
Wir sollten uns bewusst sein, dass zum Beispiel die Minimalisten
und Konzeptualisten - mit aller intellektuellen Distanz, die sie zum Werk
hatten - sich vollkommen mit dem Werk identifizierten. Hier sind es die
Recherchen, das Wissen und die Freude über die gelungene Visualisierung,
die Haltung und Werk verbinden. Wenn ich in Bern Lawrence Weiners
Geschichtsbenennung « stone, upon stone, upon fallen stone » lese, davor
stehe und die Worte fast singe, dann erinnert mich das nicht nur an die
Wiederholungen und das Dialektische des Talmuds; ich kann seine Freude
während des « Einschreibens im Stein » nachvollziehen; das Sinnliche und
Empathische sind hier stille verborgene Qualitäten. Es ist einfach ein
phantastisches Werk, das mich zutiefst berührt. Ich will damit sagen: Auch
wenn ich den Künstler nicht kenne, kann ich, wenn ich mich auf das Werk
einlasse, viele seiner Gedanken nachvollziehen.

CD Wenn ich deine kuratorische Arbeit der letzten Jahre Revue
passieren lasse, dann sind mir sehr wenige monografische Ausstellungen
in Erinnerung geblieben. Es ist eher so, dass ich Harm Lux mit grossen
Gruppenprojekten verbinde, mit thematischen Präsentationen, die sich nicht
mit künstlerischen Einzelpositionen befassen, sondern grössere inhaltliche
Zusammenhänge diskutieren. Was ist der Grund für diese in der Branche eher
aussergewöhnliche Berufsauffassung?

HL Das hängt damit zusammen, dass ich beim Kuratieren meinen
eigenen Bedürfnissen nachgehe. Orientiert man sich an der Aktualität und
versucht diese weiter zu denken, dann kriegt man diese meines Erachtens
nur in den Griff, wenn man die Pluralität zum Ausgangspunkt nimmt. Mich-
Einlassen auf das, was ich anfänglich nicht richtig verstehe, ist ein Teil
meines Selbst. So baue ich noch immer meine Projekte auf.

CD Subjektivismus als Ausgangspunkt fürs Kuratieren?

HL Kunstwerke, die etwas Auslösen und die Katalysator für ein
neues Projekt sein können, sind super. Ich muss aber gestehen, dass
meine Projektthemen sich meistens durch ein buntes Durcheinander ergeben,
respektive nicht ergeben. 2004|05 habe ich während 15 Monaten auf den
südlichen Kontinenten Atelierbesuche gemacht, die unterschiedlichen Formen
von Einsamkeit auf den Kontinenten erfahren. Ich wollte ein Projekt
initiieren. Wieder zu Hause, sprach ich im letzten Jahr mit vielen Menschen
drüber und merkte wie meine Gedanken bestätigt wurden. Gleichzeitig
merkte ich aber auch, dass in der künstlerischen Welt nur wenig Interesse
besteht, diese Thematik zurückdenkend Vorwärts zu denken, obwohl gerade
das der Globalkultur helfen würde. Durch simple Alltagsbeobachtungen,
vielleicht auch durch die Literatur (Fiktion) und natürlich durch die
Verwandtschaften in der künstlerischen Produktion und durch die Gespräche
mit den Künstlern, komme ich zur thematischen Differenzierung. So nehmen
die Wege zur Ausstellung Form an. Erst auf dem letzten Teil dieser Wege
weiss ich, wie die Ausstellung aussehen wird, wie die Thematik auf die
« Pünktchen » gebracht wird. Das Konzipieren von Themenprojekten mit
grösseren inhaltlichen Zusammenhängen entspringt meinem Bedürfnis, mich
selbst besser zu verstehen. Ich habe viele Projekte konzipiert, wo die
individuellen Werke sich als Teil einer raumübergreifenden Installation
aufeinander bezogen. Mein Wunsch ist es, dass sich die Werke umkreisen,
dass sie sich vollkommen aufeinander beziehen, fast nicht ohne den andern
auskommen können. Dass dies natürlich nicht immer gelingen kann, ist klar.
Ideal ist?s, wenn sich aus dem Miteinander ein Ineinander ergibt.

CD Die Inszenierung, die Kreation des Displays, spielt in deinen
thematischen Projekten immer eine vorrangige Rolle. Mal hast du eine Bühne
mitten in die Ausstellung bauen lassen, um darauf performative Positionen
zeigen zu können; mal schicktest du die Besucher durch einen Schrank
in einen Ausstellungsparcours, der eher einer Geisterbahn, bzw. einem
Erlebnispark à la Disneyland glich. Was interessiert dich an diesen sehr
theatralischen Displays?

HL Ich möchte klar stellen, dass das gewachsen ist. Ich war auf
der Suche nach Ausstellungsmöglichkeiten, die die Werke besser verbinden.
In Skandinavien traf ich auf gute Künstler, aber auf nichts, das mich
kuratorisch weiter brachte. Im Amsterdamer W139 hatten einige Künstler
zusammen eine Installation erarbeitet. Ich war vollkommen aus dem Häuschen,
habe den Kurator sofort zur Zusammenarbeit gebeten und die Künstler, die
in der Installation eine schöne Rolle spielten, diejenigen die durch das
Nichtauffallenwollen auffielen, habe ich sofort besucht. Die Amsterdamer
Installation durchbrach nicht den Raum, sie war eine Installation im Raum,
aber ein wunderbares Beispiel von relationellem Kuratieren (relational
curating). Ich wollte das hinter mir lassen, wollte am liebsten den ganzen
architektonischen Raum durchbrechen, eine eigene Welt kreieren, eine
Plattform schaffen, worauf die Künstler sich gegenseitig ihre Geschichten
erzählen. « A Nite at the Show » (der Titel ist u.a. auch inspiriert durch
die Marx Brothers: « A Day at the Races ») war das Resultat.
Danach wuchs das Bedürfnis, die Ausstellungen zu inszenieren, als ob man in
eine andere Zeit eintritt, eine Distanz zur eigenen Zeit schafft. Du erwähnst
Ingrid Wildi?s Schrankarbeit: solche Werke entstanden im Dialog
und ihr Werk war eine Voraussetzung für dieses Projekt. In Ingrids Vor-
Aus-Setzung (das Werk war Ausstellungsanfang und Projektende), in ihrem
Schrank (der geheimisvolle Ort unserer Kindheit) hörte man die Stimmen
zweier Kinder, die dem Besucher ihre Zukunftswünsche erzählten. Beide
Kinder sind sehr geschwindigkeitsorientiert, sie träumen von Mode und
Weltall. Ingrid Wildis Werk war eine ideale Eingangsarbeit, als Besucher
wurde man sich durch dieses Werk bewusst, dass Zeit und Geschwindigkeit
die richtunggebenden Projektthemen sind. De Rijke & De Rooij?s waren mit
dem Kanu in Grönland unterwegs, in der Isolation, um die absolute Stille
und die Eisschmelze einzufangen. David Claerbout zeigte seinen animierten
Baum, Graham Gussin sein manipuliertes « Lake » und die überarbeiteten
letzten Sekunden von « 2001 Space Odyssey » (Reinkarnation). Und Aernout
Mik führte boxende ältere Herren vor. Dass man diese Ausstellung als
Geisterbahn erfahren kann, ist mir unbekannt. Das Projekt sollte als
Parcours der Stille funktionieren und ganz bewusst hat Mike Tyler eine
Licht-Skulptur - die als Platz der Ruhe funktionierte - ins Zentrum der
Ausstellung gebaut.

CD Eine narrative Struktur ...

HL Als Ausstellungsmacher frage ich mich konstant, wie ich die vielen
kleinen Geschichten zusammen bringe, die ich sammle. Und wie inszeniere ich
sie? Zum Beispiel beschäftigt mich über längere Zeit der Gedanke, ob das
Durchbrechen der architektonischen Struktur für ein Projekt sinnvoll ist.
In einem anderen Projekt umkreisen meine Gedanken über mehrere Wochen die
Präsentationsmöglichkeiten der Werke, die Suche nach der Akzentsetzung:
Ergänzung, Reibung, Irritation. Kuratieren ist für mich das Suchen nach
und das Optimieren von Ausstellungsbedingungen. Und letztere sind bei
jedem Projekt total anders. Man kann nie zweimal identisch vorgehen.
Zum Theatralischen möchte ich noch sagen: Es ist mir wichtig,
atmosphärisch starke Inszenierungen zu schaffen, die die Werke und vor
allem die Betrachter aus ihrem Alltag rücken. Ich bin mir sehr wohl
bewusst, dass die gerade erwähnten Werke in meinen Projekten anders
funktionieren als in einem von Sonnenlicht durchfluteten, in einem weissen
oder in einem schwarz gestrichenen Raum. Mit meiner Art des Kuratierens
habe ich neue Ausstellungsmöglichkeiten ins Spiel gebracht. Ich bin mir
bewusst, dass ich die Künstler manchmal vor den Kopf stosse - das sagen
sie mir dann auch. Ich glaube, dass ich einige Male zu weit gegangen
bin. Aber wenn man an etwas forscht und überzeugt ist, dass das Resultat
stimmt, dann kann man nicht auf halbem Weg aufgeben. Es kann nur gelingen,
wenn man fragmentarische, pluralistische Projekte konzipiert, vielleicht
dadurch sogar das Autonome belebt, sein auf das Definitive aufgebaute
Rahmenwerk untergräbt, die Ritzen stets grösser macht. Tja, wir hoffen und
träumen...

CD Interessant, dass du am Schluss wieder den Begriff der Autonomie
einbringst, wo doch gerade die Künstler in deinen Gruppenausstellungen die
Autonomie ihres Werkes abgeben mussten zugunsten deiner kuratorischen
Autonomie...

HL Das hängt von der Perspektive ab, aus der wir an die Ausstellung
herantreten. Man könnte ja sagen, wenn ein Künstler sein - oder sie ihr
- Werk in einem weissen, grünen oder schwarzen Raum ausstellt, dann
bekommt das Werk einen anderen Stellenwert, weil es aus dem Atelier
rauskommt und in einer Institution gezeigt wird. Vielleicht ist das keine
Autonomieverschiebung - weil wir das schon längst nicht mehr so sehen
möchten. Jedenfalls findet ganz deutlich eine Einbindung statt.

CD Aber nach bestimmten, mehrheitlich kanonisierten Regeln, die
der Autonomie das Wort reden!

HL Was ist heute eigentlich noch Autonomie! Wer richtig autonom
sein möchte, muss in unserer Gesellschaft eine ganz feine Balance zwischen
Zurückgezogenheit und Sich-Einbringen entwickeln. Ich bin davon überzeugt,
dass autonome Werke - die sowieso immer Teil einer Struktur sind, sonst
können sie ja gar nicht autonom sein -, nur optimal funktionieren, wenn
man sie mit den Entwicklungen in ihrer Zeit verbindet, das heisst, wenn man
einen Kontext schafft, der ihnen ihre Würde belässt, der aber auch Austausch
und plurale Meinungsbildung stimuliert. In den 90er Jahren wurde der
Postmodernismus noch grossgeschrieben. Ich wollte aus dem Fragmentarischen
heraus Neues erzählen. Um Inseln sichtbar zu machen, braucht man ein Meer,
das hält sie zusammen, verbindet sie, lenkt die Aufmerksamkeit. Mein Rahmen
war ab und zu sehr präsent, vielleicht zu präsent, aber ich empfand es als
eine kuratorische Notwendigkeit, ich musste es testen. Deine Bemerkung zur
Verschiebung der Autonomie zu Gunsten des Kurators verstehe ich nur all zu gut.

CD Daraus entstehen immer wieder Probleme ...

HL Ich wäre der Letzte, der Künstlern oder Kunststudenten die
Autonomie ausreden würde. Nie! Ich möchte nur die Bereitschaft zur
Zusammenarbeit stimulieren. In den 90er Jahren fand ich es wichtig, die
Werke in eine relationelle Struktur einzubinden: sie sollten aufeinander
Bezug nehmen, sich ergänzen, weitere gedankliche Geschichten ermöglichen,
den Betrachtern beim Spinnen helfen. Das hat viel mit dem damaligen
Zeitgeist zu tun. Nun bemerke ich, wie mir die Zusammenarbeit an sich und
das Prozesshafte wieder sehr wichtig sind, vielleicht um auf künstlerischer
Ebene etwas aufzubauen, was uns im Alltag abhanden kommt.

CD Wie meinst du das?

HL Der Begriff « Networking » wird stark durch die wirtschaftliche
Globalisierung besetzt. Erst in den letzten Jahren greifen wir das
Thema in der Kunst auf: aus welchen Gründen?! Letztens sprach ich mit
mehreren EU-Künstlern, die zusammen arbeiten. Sie kommen aus sieben
Ländern, dadurch können sie sehr viele EU-Gelder reinholen. Natürlich
hat Networking auch unsere technologische Entwicklung stimuliert und den
Austausch vereinfacht. Aber wie ist es mit dem Zwischenmenschlichen im
Networkingland? Zur Zeit liegt mir das Stimulieren von Zusammenarbeit -
vor allem durch das Initiieren von Work-in-progress-Projekten - am Herzen.
Nebst einer hoffentlich wilden künstlerischen Impact-Periode ergibt sich
für die Künstler und für mich die Möglichkeit, kleine, fragile, vom
Individuum getragene Netzwerke aufzubauen. Das hört sich alles sehr sozial
an, wird in der Projektvisualisierung aber nicht so sein.

CD Wie muss ich mir das vorstellen? Ist das eine rein diskursive
Zusammenarbeit zwischen Künstler und Kurator? Oder greifst du im Atelier
direkt in den Werkschöpfungsprozess ein?

HL Drei Wochen lang arbeiten 21 Künstler tagtäglich mehrere Stunden
in kleinen Gruppen zusammen, machen Recherchen, erfinden Werke und
überarbeiten die regionale Geschichte, dabei stets pendelnd zwischen Fakt
und Fiktion. Abends tauschen sie sich mehrere Stunden aus, schauen wie die
eigenen Skizzen und Gedankenbilder mit denen der Kollegen zusammengehen,
und was das für die Ausstellung bedeuten kann. Wir besprechen dann, welche
neue Gruppenkonstellationen für den nächsten Tag am besten ist. Das alles
hört sich sehr banal an. Aber dass es wesentlich ist, merke ich daran, dass
sich die Teilnehmer aufregen. Ein kleines Ausstellungskonzept führt in der
Vorbereitung schon wochenlang zu einem lebendigen Dialog, starke, böse
Mails sind das Resultat. Was kann man sich noch mehr wünschen. Und dann
schauen wir, wie es nach dem Projekt weitergeht, ob ein Netz entsteht.
Ich bin davon überzeugt, dass wir es uns nicht leisten können,
nur am Nutzen orientierte Netzwerke aufzustarten. Wir brauchen auch andere
Formen, bei denen du weisst, dass mehrere Gegenüber dich wirklich und
längerfristig in deinen schönen, künstlerisch absurden, sinnerregenden
Projekten unterstützen, dass sie stets für dich da sind. Solche Netze
sind überaus wichtig - vor allem bei uns in der Kunstwelt mit all den
Einzelkämpfern! Ich merke es bei meinen eigenen Projekten: Es passiert
mir immer wieder, dass ich mich andern gegenüber nicht präzis genug
artikuliere. Es tut dann gut, wenn sie mir trotzdem ihr Vertrauen schenken
und ein Projekt unterstützen. Es tut sehr gut. Und weil ich weiss, wie gut
es tut, muss man den Balsam weiterreichen, jüngeren Künstlern Vertrauen
schenken, sie unterstützen.

CD Was dürfen wir von dir in nächster Zukunft erwarten? Welche
Ausstellungsideen trägst du mit dir herum?

HL Herumtragen, schön gesagt. Seit einem Jahr verliere ich mich in
einer Projektpluralität von untypischen Performance-Projekten: eins ist
auf Boliviens Salar de Uyuni und das andere in Kashmir, respektive in Indien
und Pakistan. Dazu kommt noch das schon erwähnte europäisch|bolivianische
Zusammenarbeitsprojekt für das Städtische Museum von La Paz. Und wenn
alles gut geht - ich bin da sehr vom Geldgeber abhängig - wird das
« Routes Report From the Land of Dreams »-Projekt im Sommer oder Herbst
2007 stattfinden. Demnächst kommen die zehn Süd-Künstlerinnen zu mir.
Sie haben neun Wochen auf den vier südlichen Kontinenten recherchiert,
jeder auf seinem Heimatkontinent. Bei mir werden dann die Reiseerfahrungen
analysiert, die vorläufigen Themen nochmals ausgelotet, Ausstellung und
performative Konferenz vorbereitet. Das Analysieren der Reiseberichte und
das Bewerten der ersten visuellen Informationen ist kein einfacher Prozess,
mal schauen was dabei raus kommt. Ich hoffe Grosses, habe wirklich Lust,
daraus ein spezielles Projekt zu machen. Ob das möglich ist, weiss ich erst
nach der siebentägigen Session.

CD « Projekt » ist einer deiner Lieblingsbegriffe. Darin schwingt
auch eine gehörige Portion Konjunktiv mit, nicht? Wie beurteilst du
solche Situationen des Scheiterns, oder besser gesagt, des immateriellen
Kuratierens?

HL Hoppla, da machst du aber einen Sprung! Ich meine, dass
Entwürfe, die nicht in concreto umgesetzt werden, die nicht direkt für
uns erfahrbar sind, nicht gescheitert sind. Im Scheitern spielen so viele
Aspekte eine Rolle. Scheitern ist stets Projekt-, das heisst Kontextund
Personen-bedingt. Für das Routes-Projekt habe ich wirklich gekämpft,
musste die Reisen der zehn Künstler finanzieren und mit Hilfe vieler ist
das gelungen - obwohl wir trotz klar definierten Recherche-Vorgaben nicht
wissen, was die Künstler herantragen werden. Das konkrete Scheitern sagt
doch nur, dass im Handeln die Differenzen zwischen den Beteiligten nicht
überbrückbar waren, und dass man ein nächstes Mal andere Akzente setzen
soll. Das Scheitern nicht zuzulassen, ist eine andere Möglichkeit: die
eigene Überzeugungskraft voll reinschmeissen, nicht zulassen, dass das,
was man für substantiell hält, nicht stattfinden wird.
Diese Interpretationen des Scheiterns beziehen sich nur auf die
Durchführung eines Projekts. Bei mir nimmt das, was du das Immaterielle
nennst (der Prozess, die Vorbereitungszeit und das Sich-Austauschen an
sich) eine stets grössere Rolle. Die Künstler werden gebeten, den Weg
Richtung « Ausstellung » mit den Andern zu teilen, den Weg miteinander zu
gestalten. Der Dialog, der über längeres Austauschen, Annehmen und die
Zusammenarbeit Face-to-Face entsteht, ist ein Grundprinzip meiner Arbeit.
Daher kann ein Projekt eigentlich nicht richtig scheitern. Scheitern wir
im Dialog, dann hat das wahrscheinlich damit zu tun, dass jeder von uns
nur sich selbst hören möchte, nur von den eigenen Projekten berichtet,
den andern nicht mitteilt, wie man sich sensibilisiert für das, was uns
zur Zeit umgibt, und für das, was auf uns zukommt. Kommen TeilnehmerInnen
von mehreren Kontinenten zusammen - was bei mir vermehrt der Fall ist -,
dann könnte der Austausch scheitern, weil wir die kulturellen Differenzen
unterschätzen. Eine zu grosse Interpretationsbreite könnte daran Schuld
sein. Sind wir uns dieser Voraussetzungen bewusst, dann können wir die
Missverständnisse produktiv auf eine fruchtbare Basis überführen und das
Risiko des Scheiterns auf ein Minimum reduzieren.
Gescheitert bin ich, wenn die Künstler und ich zwar eine wunderbare,
erregende Vorbereitungszeit hatten, die Kulturstiftungen dann aber
die Visualisierungen nicht finanziell unterstützen wollen. Dass das
Kashmir-Projekt vielleicht nicht stattfindet, hat mit solchen Banalitäten
zu tun. Niemand will meine Vorbereitungszeit finanzieren. Ich wollte zwei
bis drei Wochen nach Islamabad und New Delhi, um vor Ort zu lobbyieren und
das grenzüberschreitende Projekt in concreto zu ermöglichen. Als finanzschwaches
Einpersonen-Büro kann ich es mir leider nicht leisten, schnell
dahin zu fliegen. Nun antizipiere ich schon das Scheitern des Projekts.
Das schmerzt, nicht so sehr weil wir Monate dran gearbeitet haben, vielmehr
weil diejenigen, die es nicht unterstützen, damit ein Peace-Projekt auf
Eis legen. Gerade das tut weh.
Immaterielles Kuratieren ist der Aufbau von kleinen personenbezogenen
Netzwerken, die einen Gedankenaustausch auf künstlerischem
und auf künstlerisch-organisatorischem Niveau führen. Während diesem
Dialog kreisen wir überwiegend um die Ausstellungspraxis. Themen und Umsetzungsmöglichkeiten
werden eingebracht, besprochen und diskutiert. Das
Überführen der gedanklichen Austauschphase in die Praxis ist das Ziel.

CD Du hast vorhin vom Kashmir-Projekt als Friedensinitiative
gesprochen. Könntest du diesen Ansatz konkretisieren?

HL Das Kashmir-Performance-Tracking-Projekt muss eventuell nach
einen monatelangem Email-Curating-Kurs, nachdem die indischen Kollegen
sehr gute und professionelle Arbeit geleistet haben, umformuliert und neu
gedacht werden. Die indischen Kollegen können oder wollen nicht mit den
pakistanischen Behörden verhandeln. Und das ist die Grundvoraussetzung.
Ein Bus mit 35 PerformancekünstlerInnen fährt 18 Tage durch Kashmir,
pendelt zwischen indischen und pakistanischen Städten. Täglich halten
die Künstlerinnen minimal 10 Performances, 10 Vorträge und Workshops ab.
Die künstlerische Arbeit vor Ort ist schon eine Rarität; es ist aber vor
allem das stetige Hin-und-Herpendeln zwischen beiden Kashmirs, das die
Aufmerksamkeit auf uns lenkt - als seien die Landesgrenzen dabei sich
aufzulösen. Das passt natürlich beiden Ländern nicht ins politische Konzept.
Das Projekt ist realisierbar, aber man muss auch ein bisschen
diplomatisch vorgehen, muss in Indien und in Pakistan die richtigen
Ansprechpartner kontaktieren, sie mit einbeziehen und sie auf den kulturellen
und geistigen Gewinn aufmerksam machen. Das ist harte Arbeit, und das
haben meine Kollegen, für die es Neuland ist, ein wenig unterschätzt. Aber
wir arbeiten weiter.

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