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Doppelausstellung im Diözesanmuseum und Kulturzentrum Zehntscheuer, Rottenburg am Neckar

Reliquien – eine Objektgattung, die völlig aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Ursprünglich handelt es sich um Gegenstände, die im Kontakt mit Heiligen waren oder ihren toten Körpern entnommen wurden. An diesen Überresten entzündete sich seit der Antike die Verehrung der Heiligen. Sie wurden reich gefasst und eindrucksvoll inszeniert. Harald Fuchs nähert sich den Reliquien als Spuren des Lebens, des Glaubens und der Erinnerung neu an. Er arbeitet mit Licht und Videos, Klängen und Projektionen und schlägt in seinem künstlerischen Werk eine Brücke zwischen Natur-Ästhetik und Wissenschafts-Ästhetik, alten und neuen Kultur- und Naturvorstellungen. Seine Arbeiten spielen stets mit Assoziationen und bringen gerade dadurch religiöse und wissenschaftliche Annäherungen an die Welt ins Gespräch. Das Arbeiten vor Ort, das Sammeln und Erspüren ortsspezifischer Besonderheiten und der fast ethnologische, forschende Blick auf Geschehen und Rituale zeichnet seine Arbeit aus. Eine Kunst, in der aus dem Mit-Erleben auch Mit-Leiden entspringt.

SPIEGELUNGEN DES HEILIGEN

Ausgehend von den Reliquiaren im Diözesanmuseum zeigt Fuchs, dass die Behältnisse immer noch eine Aura des Heiligen und Überirdischen besitzen: eine transzendente Wirkung, die der Künstler in zeitgenössische Ausdrucksformen überträgt. Das Faszinierende an Reliquien ist ihre Ambivalenz: Reliquiare verhüllen und präsentieren gleichermaßen. Fuchs lässt sich von der Transparenz, dem Atmosphärischen der Objekte inspirieren – und auch von den Resten vergänglicher Materie, die manche von ihnen noch beherbergen. Zu einer Installation aus Glas und Licht zeigt Fuchs ein Video, das einen anderen Bereich traditioneller Frömmigkeit aufgreift. Er erlebte in Malaga die große Prozession, die alljährlich während der Karwoche, der Semana Santa, stattfindet. Unter dem monotonen Klang von Trommeln und Blasmusik werden eine Madonnen- und Jesusstatue auf vielen Schultern durch die Altstadt getragen. Die visuell-auditiven Eindrücke dieser religiösen Praxis hat Fuchs transformiert. Reliquiare und Prozessionsfiguren sind sichtbare Zeugnisse eines Glaubens an eine transzendente Macht – handfeste Materialität, die aber auf etwas Überirdisches hindeutet. Diese Ambivalenz, von der auch ein großer Teil religiöser Praxis und Kunst lebt, macht Harald Fuchs in seiner Installation greifbar. Damit tritt die Installation auch in Dialog mit vielen anderen Gegenständen religiöser Alltagspraxis und christlicher Kunst im Diözesanmuseum.

444 ZERFASERTE ERINNERUNGEN

Ganz anders, schockierend, direkt verdeutlicht sich die Ausdruckskraft von Lebensspuren im Ausstellungsbereich des Kulturvereins in der Zehntscheuer. Ausgangspunkt hier ist die Kleidung von 5.400 Tutsi, die während des Bürgerkrieges in Ruanda in einer Kirche erschlagen wurden. Harald Fuchs war dort, erlebte den Raum, der längst nicht mehr als Kirche dient, und sammelte Faserreste der dort noch hängenden Kleidungsstücke vom Boden auf. Diese halbzerfallenen Originalreste fixiert er in Diarahmen und projiziert sie auf große Flächen. Der abgedunkelte Raum und die rhythmisch wechselnden großen Projektionen der winzigen Stoffreste schaffen eine eigene, irritierende Atmosphäre im Raum. Das Geräusch der klackenden Projektoren wirkt fast wie ein Ein- und Ausatmen. Ohne Kenntnis der schrecklichen Ausgangsgeschichte umfängt den Besucher eine Raum- und Klanggestaltung mit übergroßen grafischen Flächen eigener Schönheit. Aber wie im Falle der Heiligenreliquien führen die Fasern das Unfassbare und Unsagbare vor Augen: Sind tote Materie und doch sprechende Zeugnisse grausam verstorbener Menschen. Sie stehen für Tod, für Gewalt, für Verlust und Schmerz, aber auch für die Hoffnung und die eindringliche Mahnung.

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Type d'événement
Exposition
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-
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Artistes

Détails Name Portrait
Harald Fuchs

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Kulturverein Zehntscheuer e.V.
Allemagne
Rottenburg
Rottenburg