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Müller:Wie lange leben Sie schon in Brüssel? Was war der Grund, die Schweiz zu verlassen und hier zu arbeiten?

Suermondt: Ich lebe seit 1993 hier. Zuvor war ich drei Jahre in Amsterdam, wo ich den Nachdiplomkurs der Rijksakademie besucht habe, wodurch sich ein erstes Kontaktnetz zu diesem Teil Europas bildete. Nach der Zeit in Amsterdam bin ich durch verschiedene glückliche Umstände nach Brüssel gekommen. Ich hatte Kontakte zu einer Galerie in Belgien und vierMonate später schon eine Ausstellung. Und danach bin ich geblieben. Die Mieten sind für eine Stadt dieser Grösse nicht übertrieben teuer, und ich hatte das Glück, Ateliers zu finden, in denen ich mich wohl fühlte. Brüssel liegt günstig, in der Nähe vieler anderer grosser Städte, ohne selber ein wirkliches Zentrum zu sein, es ist eher etwas dazwischen. Zwischen Norden und Süden, Germanisch und Romanisch, und die Belgier selber sind Flamen und Wallonen. Daraus resultiert ein sehr stimulierendes Gefühl von Instabilität.

Müller: Und wenn Sie Brüssel mit Genf vergleichen?

Suermondt: Genf hat viele Qualitäten, aber die starkenWidersprüche, die ein städtisches Zentrum auszeichnen, scheinen mir in dieser Stadt mit den immer noch sehr ausgeprägt protestantischen Zügen doch zu fehlen. Zusammen mit Zürich ist Genf aber doch eine Schweizer Stadt mit kosmopolitischer Atmosphäre, und ich denke dabei nicht in erster Linie an den Sitz der Institutionen. Rund um Genf ist Frankreich, und ich schätze diese Randlage. Ausserdem hat die Stadt etwas von der Riviera, zumindest im Sommer. Brüssel war hundert Jahren lang spanisch, es ist eine hybride Stadt, man spürt einen Unterschied im Lebensgefühl im Vergleich zu einer Stadt wie Rotterdam, das nur anderthalb Stunden entfernt liegt.

Müller: Aber wäre es dann nicht nahe liegend, in die ganz grossen Zentren des Kunstgeschehens zu ziehen, nach London, Berlin oder New York?

Suermondt: Ich höre ab und zu, Berlin sei eine angenehme Stadt für Künstler. Aber schliesslich ist es mir nicht so wichtig, da zu leben, wo alles Trend ist und wo die grossen Schlagzeilen gemacht werden. Das stösst mich eigentlich eher ab und erschreckt mich, als dass es mich anzieht. Ich glaube, gerade dass Brüssel ausserhalb der Zentren liegt, macht seine Qualität aus, zumindest für gewisse Künstler. Hier ist die für die künstlerische Arbeit meinerMeinung nach essenzielle Langsamkeit gesichert.

Müller: Man könnte die Entscheidung, in Brüssel zu leben und zu arbeiten, ja auch als politische Entscheidung verstehen, nachdem die Schweiz beschlossen hat, zu diesem Europa doch eine gewisse Distanz zu wahren.

Suermondt: Das war für mich nicht ausschlaggebend. Ich bin übrigens bereits lange vor den ersten entsprechenden Abstimmungen weggegangen. Und ich bin ohnehin als Ausländer in der Schweiz aufgewachsen. Meine Mutter stammt aus Slowenien und mein Vater ist Holländer, folglich entspreche ich überhaupt nicht dem Bild des tief verwurzelten Schweizers. Es fällt mir auch schwer zu sagen, wo eigentlich mein Platz ist im Sinn einer Abstammung oder gar einer Bestimmung. Ich kann nicht sagen: «Ich bin aus Brüssel», «ich komme von hier», «ich stamme aus diesem Land», und das passt eigentlich sehr gut zum Charakter dieser Stadt.

Müller: Haben Sie enge Kontakte zu den jungen Künstlern in Brüssel?

Suermondt: Nicht nur zu den jungen! Zuerst traf ich die Freunde aus der Schweiz wieder, Marie José Burki, Mitja Tusek und Bernard Voïta, die sich nach unserer Zeit im Atelier Medias Mixtes der ESAV in Brüssel niedergelassen hatten. Dann sind auch Kollegen der Rijksakademie nach Belgien gekommen. Über mir wohnt jetzt die Künstlerin Manon de Boer, die ich in Amsterdam kennen gelernt habe. Darüber hinaus ergaben sich allmählich weitere Kontakte. Eine Zeit lang sind viele französische Künstler nach Brüssel gekommen. Einige von ihnen sind zu guten Freunden geworden, sie sind aber auch spannende Künstler.Was die Malerei betrifft, kann ich da Xavier Noiret-Thomé nennen, der im Austausch über unsere Arbeit für mich sehr wichtig ist. Kürzlich lernte ich durch Jean Baptiste Bernadet, einen anderen französischen Maler, die Tänzer der Companie Caterina Sagna kennen, deren Arbeit man im Bereich des Tanztheaters ansiedeln kann. Sie hinterfragen insbesondere dieMachtbeziehung zwischen Choreograph und Tänzern, die Idee des «bearbeiteten», konditionierten Körpers, aber auch die projektiven Identifikationen der Zuschauer mit den Tanzenden; Identifikationen, die sich durch ihre permanente Neuformulierung gewissermassen in einem Zustand dauernder Krise befinden. Ihnen zuzusehen ist ein ausserordentliches Vergnügen. Der Blick wird auf die Details fokussiert, auf das, was er erfassen will und auch auf das, was sich entzieht. Das ist etwas, was ich mir auch für meine eigene Arbeit vorstelle. Ich will damit sagen, dass ich in dieser Stadt immer das Potenzial der Durchlässigkeit künstlerischer Gestaltungsbereiche gefühlt habe, was übrigens zu bemerkenswerten Zusammenarbeiten geführt hat.

Müller: Es fällt auf, dass Sie mit den verschiedensten Medien arbeiten, mit Video, Film, Malerei, Zeichnung, Computer, wobei nie so ganz durchsichtig ist, warum Sie dieses oder jenes Medium verwenden.

Suermondt: Das stimmt, ich gehe leicht vom einen zum andern über. Das ist etwas, das ich immer gemacht habe. Ich kann mir vorstellen, dass mein Blick bildhaft ist, wenn ich eine Stadt oder Bilder filme, und wenn ich male, denke ich gerne an die Idee der Filmmontage. Kürzlich habe ich Gespräche mit Jean-Luc Godard gelesen und seltsamerweise scheint er nicht mehr an die Montage in der Malerei zu glauben, ausser wenn er Eisenstein zitiert, der in Bezug auf El Greco «von Montagen über Toledo» spricht. Ja, ich liebe die Beeinflussung, die Ansteckung eines Mediums durch ein anderes. Es fasziniert mich, die Reproduktion eines Gemäldes in Schwarz-Weiss zu entdecken. Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich diese Verschiebungen als wesentlichen Antrieb für meine Arbeit akzeptiert habe.Wenn ich eine Ausstellung mache, bestimmt das Zusammenwirken dieser verschiedenen Medien den Raum immer auf eine spezielle Art, die ich gerne artikuliere; es ist wie eine Art spazieren zu gehen und dabei von Moment zu Moment eine neue Richtung einzuschlagen.

Müller:Wie würden Sie diese Art Identifikationseffekt definieren, der die verschiedenenWerke zu einem Gesamten vereinigt?

Suermondt: Da gibt es diese Konstante, die eine ganz besondere Qualität in der Beziehung zum Bild wiederzugeben versucht. Wenn das Bild seine Kraft daraus bezieht, dass es sich als geschlossenes Ganzes darstellt, in dem Sinne, dass es sich selbst genügt, dann möchte ich ihm die Differenz beigeben, die Idee des Limitierten. Indem man ein Bild von einem Träger auf einen andern überführt, stellt man einen Verlust fest, aber dieser Verlust bringt auch einen Abstand mit sich, insofern er etwas anderes zu sehen erlaubt.Wenn man ein Bild betrachtet, meint man auf den ersten Blick sofort zu erkennen, was man vor Augen hat, also beispielsweise das Gedränge an einer Pressekonferenz. Versucht man dann, dies durch die Betrachtung der Details zu bestätigen, entzieht sich aber das Bild. Der Identitätsfaktor wäre hier also eher ein Negativkennzeichen, ein «Weniger» als ausbalanciertes Gegengewicht zum «immer Etwas» des Bildes.

Müller:Würden Sie dem zustimmen, dass jedes Medium in Ihrer Arbeit ein anderes Stück der sozialen Realität widerspiegelt?

Suermondt: Vielleicht ist das so, insofern diese Medien immer eine Sichtbarkeit implizieren, die sich auf einem oder mehreren Trägern realisiert, und insofern diese Träger in der Regel aus dem Alltag bekannt sind und sofort mit ihm assoziiert werden. Von diesen Fixierungen ausgehend kann man wieder Verfremdungen einführen, Verschiebungen.
Also meine primäre Bildquelle ist die Zeitung. Ich gehe an den Kiosk und kaufe Zeitungen, die ich nach Kriterien der Druckqualität und der Typologie der Aufnahmen auswähle. Sie sind der Spiegel einer gewissen gesellschaftlichen Realität und gleichzeitig deren Interpretation. In der Auswahl der ausgeschnittenen Bilder, die ich so anlege, dass sie sich jeder Thematik entzieht, habe ich im Nachhinein, eigentlich erst Jahre später, sozusagen einen gemeinsamen Nenner erkannt, der darin besteht, dass diese Bilder von Menschen unter sich sichtlich Szenen zeigen, in der Archetypen der Herrschaft erkennbar werden. Aber ich frage mich, ob das nicht mit allen Bildern aller Zeitungen der Fall ist, in dem Sinn, dass sie immer exemplarisch sind. Oder vielleicht handelt es sich um eine persönliche Art, sie als solche zu interpretieren. In dieser Optik könnte man die Geste, Bilder endlos zu übertragen, als einen Versuch verstehen, diese Kraft umzukehren.

Müller: Das, was man Inspiration nennt, geschieht also bei Ihnen stets als bildnerische Reaktion auf bestehende Bilder?

Suermondt: Sofern man unter bildnerischer Reaktion, oder Reflex, einen Versuch versteht, sich von einem Kleben am Bild loszulösen, also dazu überzugehen, es «schief anzusehen», wie Antonin Artaud sagt.

Müller: Wenn Sie irgendwo auf eine kleine Abbildung gestossen sind, von der Sie irgendwie festgehalten werden, wie weit ist es dann noch bis zu ihrem Bild? Ist Ihnen Ihr Bild sofort klar? Müssen Sie es malen?

Suermondt: Sie zu malen kann auch nur eine Etappe sein, und natürlich muss ich diese Etappe mit den Galeristen in Betracht ziehen. Das ist auch eine Art, eine gewisse Zeit mit den Bildern in Kontakt zu sein, langsam das zu organisieren, was ich als eine Art «migratorische List» bezeichnen würde. Meine erste Geste, wenn ich die Zeitung durchblättere und ein Bild finde, oder den Teil eines Bildes, ist, dass ich es mit vier Cutterschnitten herauslöse und auf ein weisses Blatt klebe. Die Auswahlkriterien sind allerdings hier schon vielfältig: Ein Bildfragment kann als Fotogramm für einen Film dienen und gleichzeitig könnte ich daraus auch ein Gemälde machen. Dieser Filterungsprozess, der mit dem Sammeln beginnt, führt rasch zu Verhandlungen und Kompromissen.

Müller: Es kann also sein, dass Sie die Vorlage auch wieder verwerfen?

Suermondt: Nein, eher wird es in einen weniger aktiven Bereich meiner Klassierungen verschoben. Und wenn ich von einem Bild erhoffe, dass ich das, was seinWendepunkt sein könnte, erkennen oder zumindest erahnen kann, hefte ich es an einen Türrahmen oder an eine weit entfernteWand, um möglicherweise in der zufälligen Begegnung mit ihm etwas Überraschendes zu provozieren.Wenn das nicht passiert, ersetze ich es durch ein anderes. Es hat an meinen Wänden immer einige Bilder, die diesen Weg nehmen.

Müller: Bei den Vorlagen fällt auf, dass die meisten schwarz-weiss sind.

Suermondt: Richtig, es ist wichtig, dass diese Bilder schwarz-weiss sind, gerade das ermöglicht diese Ambivalenz in der Interpretation des Sichtbaren. Worum es geht ? und das läuft auch über die Art, Bilder in einen neuen Rahmen zu setzen ? ist das Freistellen der zu identifizierenden Dinge in Bezug auf das, was sie umgibt. Diese Qualität will ich auch in derMalerei mit der Farbe aufnehmen. Man ist dann überrascht darüber, was einen die Konstruktion der Konturen und der Figuren sehen lässt, die so Vieles an imaginärer Projektion mit sich bringt und an Zeichenhaftigkeit, die man ihr zuschreibt, so dass das Auftauchen der Figuren meiner Meinung nach mit einer gewissen Verweigerung einhergehen kann.

Müller: Kann es sein, dass ein Bild auch einmal aus einer literarischen Vorlage entsteht?

Suermondt: Ich könnte da an den Lenz von Georg Büchner denken und sein faszinierendes «?nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehn konnte». Oder auch an ein anderes Buch: Morels Erfindung von Bioy Casares, einem Freund von Borges, der eine Maschine beschreibt, die Menschen in Bilder verwandeln kann. Darin ist auch die Rede von einer schönen, unberührbaren Zigeunerin, mit der sich der Erzähler in der Maschine trifft. Mir ist es immer so vorgekommen, als habe Casares diese Erzählung geschrieben, während er die Seiten eines Frauenmagazins aus den vierziger Jahren las. Es ist nun aber schwierig, direkte Wirkungen dieser Lektüre auszumachen.

Müller:Wie affektiv sind Sie an ihren Bildern beteiligt? Man möchte ja der kleinen Donald-Duck-Figur, die dann ganze zeichnerische Prozesse auslöst, nicht unbedingt unterstellen, dass sie Sie stark emotional berührt.

Suermondt: Nein, tatsächlich, Donald Duck und seine Freunde sind mir eher gleichgültig . Mir hat das Bild, von dem Sie sprechen, vor allem deshalb gefallen, weil es sich vergrössert und auf Zeitungspapier gedruckt auf einer Seite der la Repubblica aus dem Jahr 2003 befand. Übrigens ist die Ente nicht mehr ganz sich selber, denn sie ist hier in der Nachtversion des Superhelden zu sehen, Fantomialde auf Französisch, Paperinik auf Italienisch, und sie spielt auf ihren aktuellen Namensvetter Donald Rumsfeld und seine Alibis für den Irak-Krieg an. Als ich diese vergrösserte Zeichnung anschaute, wurde ich auf die Definition der Zwischenräume durch den Strich aufmerksam, auf die Ökonomie und die extreme Effizienz, was die Geschwindigkeit und die Lesbarkeit anbelangt. Ich habe diese Schrift übernommen für eine Reihe von Tuschzeichnungen im Format 40 cm auf 40 cm, indem ich das Blatt wendete, sobald die Seite voll war. 2004 habe ich eine Serie dieser Zeichnungen entlang einer Mauer aufgehängt, eine neben die andere, und es entstand der Eindruck, man stehe vor einer Vielzahl gestikulierender Figuren, die sich auflösten, sobald der Blick sich auf eine von ihnen fixierte. Man stiess dann auf eine Art plattes Gestikulieren.

Müller: Und wenn man den Bilderfries wie eine Ilustration zur Sprechblase verstehen würde, in der Donald fragt: «Dove sono i cattivi» ? «Wo sind die Bösen»?

Suermondt: Ja, Donald alias Fantomialde alias Rumsfeld fragt, wo die Bösen seien, es geht also darum, sie zu bezeichnen, indem man sie von den anderen trennt. Das ist auch eine Bewegung der Fokussierung, ein «Hineinzoomen». Der Satz ist somit ein Leseindiz und der allgemeine Titel des Ganzen. Trotzdem habe ich die in der la Repubblica erschienene Zeichnung nie neben den Tuschbildern gezeigt. Kürzlich habe ich die Zeichnungen auf Videoformat übertragen. Ihre Abfolge läuft im Überblendungsmodus, was denWunsch noch intensiviert, die rasch vorbeiziehenden Figuren zu erfassen.

Müller: Meist sind Ihre Vorlagen ganz klein, und meist werden aus ihnen sehr grosse Bilder. Was meint diese Vergrösserung?

Suermondt: Meine Vorlagen sind, was sie sind, Bilder oder aus Tageszeitungen entnommene Bildausschnitte.Wenn ich ein solches Fragment auf eine Leinwand projiziere und ich mich dann nähere, um das Bild mit dem Stift zu übertragen, ist alles unscharf, und die «klare Linie» des Stifts produziert unweigerlich Verzerrungen. Ausserdem enthält das Druckbild oft undefinierte Bereiche, die man sieht und für gewöhnlich nicht berücksichtigt. Diese Teile erzeugen überraschende Einsichten, wenn sie erst einmal durch die Malerei als «eher Etwas» und sein Gegenteil interpretiert wurden.

Müller: Andererseits gibt es ja auch Miniaturformate in Ihrem Werk, und wie man hier an Ihrer Wand sehen kann, mischen Sie die Formate gerne.

Suermondt: Sie sprechen von den kleinen «Grenzcollagen», die zwei Bildschnitte unterschiedlicher Herkunft so zueinander in Bezug setzen, dass die Kontinuität gewisser Linien auf einen Ursprung zu weisen scheint. Was die Grössenunterschiede anbelangt, liebe ich die Idee, dass man dazu gebracht wird, näher heranzugehen oder im Gegenteil zurückzuweichen, um die Arbeit zu erfassen. So muss man sich immer wieder neu positionieren, wie um den richtigen Sichtwinkel und den richtigen Rahmen zu finden. Das passiert auch vor den grossen Bildern, wo man das Detail absuchen geht, um es dann mit der Gesamtschau abzustimmen. Ich habe wieder an das gedacht, als ich Underworld von Don Delillo gelesen habe, um auf Ihre Frage von vorhin zurückzukommen.

Müller: Die Vielfalt an den Wänden erstreckt sich auch auf die Malstile oder Malweisen. Manche Bilder sind sehr nahe bei ihren Gegenständen, andere haben sich weit von ihnen entfernt und in die Abstraktion vorgewagt.

Suermondt: Ich würde nicht von Abstraktion reden.Wenn man das Beispiel der undefinierten Bereiche, das ich vorhin erwähnte, wieder aufnimmt, zielt ihre Umsetzung auf der Leinwand mittels der aufgetragenen Farbe daraufhin, ebenso ein «eher Etwas» sichtbar zu machen, wie, als übertragenes Äquivalent, ein «eher Nichts». Es liegt mir also etwas an dem Eindruck, gegenüber von «etwas» zu stehen, das in einem photographischen Sinne als «wahr» identifiziert werden kann.

Müller:Wenn man Ihr Werk überblickt, dann lässt sich aber vielleicht doch sagen, dass es eine Entwicklung von der mehr gegenständlichen zur mehr ungegenständlichen Bildsprache gibt. suermondt: Vielleicht, aber nur insofern man den Begriff «ungegenständlich » nicht im Sinne von «abstrakt» gebraucht. Bei den mit Fotoshop bearbeiteten Bildern habe ich in letzter Zeit damit begonnen, die Gesichter durch andere vorhandene Teile zu ersetzen, so dass beim Lesen dieses eine Element nicht mehr vorhanden ist, auf das sich der Blick sofort fixiert und das ein Erfassen des Bildes in seiner Ganzheit konditioniert. Und dann habe ich in Fortsetzung dieser Logik, das ist überall erkennbar, mit denselben Mitteln schliesslich die Dinge so verfeinert, dass sie nur noch schwer zu benennen sind. Dennoch bleibt ein Schwarz-Weiss-Bild, nahe am Fotografischen, das, einmal in Malerei umgesetzt, den Zugang zurWahrnehmung eines bewohnten Raums ermöglicht, in den man sich projizieren und auch die Ränder dauernd neu definieren kann, ebenso wie das, was sich darin befindet.

Müller: Kann man sagen, dass Ihre Arbeit immer um die Frage kreist, was ein Bild ist?

Suermondt: Vielleicht ist das die grosse Frage. Aber ich denke, man muss daran immer auch die Frage anknüpfen, welche Beziehung wir zu ihm haben. Das ist jedenfalls meine Art zu arbeiten, durch eine Geste, die das Gewöhnliche dieser Beziehung zum Paradoxen hin verschiebt. Um nochmals auf Godard zu sprechen zu kommen: Ich habe kürzlich einen seiner Filme gesehen, Nouvelle Vague glaube ich, wo im Laufe einer Diskussion ein Schauspieler die Frage aufwirft, was genau ein Bild sei. Daraufhin antwortet jemand: «Schnee aufWasser», und Alain Delon, dem diese Frage auch gestellt wird, erwidert: «Stille auf Stille», worauf er ein hübsches Kompliment erhält. Mir gefällt diese Idee, dass es in beiden Antworten um Addition und Subtraktion geht.

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Robert Suermondt